Zahlt sich die Investition in New Work aus?

Investition New Work: Zahlt sich die „Neue Arbeit“ wirklich aus?

Neue Arbeitswelten versprechen in stetig wachsender Marktkomplexität die Lösung aller Probleme, zugleich die ultimative Freude am eigenen Beruf. Weniger Druck, mehr Spaß, Arbeit auf Augenhöhe, Homeoffice und endlich schöne Büros. Bei New Work geht es um den Menschen, so sagt man. Aber Idealismus hilft nicht, wenn es darum geht die Investition in „Neue Arbeit“ gegenüber den Shareholdern zu rechtfertigen. Ist Arbeit auf Augenhöhe eine Investition, die sich lohnt?

„Kultur isst Strategie zum Frühstück.“ Das Peter-Drucker-Zitat geistert stetig durch die Barcamps und Meetups der New Worker und Agilisten. Es ist Ausdruck einer Haltung: Mensch über Profit. Durch die Zentrierung auf Kunden und Kollegen wird die heute einzig gültige Währung im Unternehmen, das liebe Geld, zur Diskussion gestellt. Teams sollen sich selbst führen, auf Augenhöhe zusammenarbeiten und im Ergebnis mit echter Kundenzentrierung wirtschaftliche Erfolge feiern. Aus heutiger Sicht der Unternehmensführung ist dafür noch ein langer Weg zu gehen, der – und da schließt sich der Kreis – Zeit und Geld kostet.

Während Kicker-Tische, Homeoffice und Chief Happiness Officer vergleichsweise überschaubare Investitionen sind, schmerzt die echte Transformation schnell mit einigen 1.000 Euro pro Mitarbeiter. Neues Wissen will vermittelt werden, es braucht neue Raumkonzepte, eine ortsunabhängig verfügbare IT und – je nachdem, wen man fragt – zwischen 10-25% neue Kollegen. Es braucht viel Idealismus, Mut und Durchhaltevermögen, um vom Start einer New-Work-Initiative überzeugt zu sein.

Ideale für Idealisten, Zahlen für Investoren

Unter dem Deckmantel der Digitalisierung werden die Formen der Zusammenarbeit zum Beispiel bei AXA, der Deutschen Bahn und Siemens hinterfragt. In den Strategiepapieren vieler Unternehmen ist Agilisierung im Jahr 2019 einer der Kernpunkte. Doch um die gesetzten Ziele in die Praxis umzusetzen, braucht es mehr als eine Strategiepräsentation des Vorstands. Die Herausforderung entsteht in der Umsetzung der Strategie. Analog zu Everett Rogers Diffusionstheorie gibt es auch in der agilen Transformation unterschiedliche Typen auf Entscheider- und Expertenebene – jede mit ihren eigenen Bedürfnissen. Rogers gruppiert diese Typen in Innovatoren, frühe Anwender, frühe Mehrheit, späte Mehrheit und Nachzügler.

Innovatoren sind sehr risikofreudig. Sie haben früh begonnen ihre Kultur zu verändern und mit neuen Arbeitsformen zu experimentieren. In seinem Buch „Reinventing Organisations“ benennt Frederic Laloux diverse Vorreiter, auch im Kontext zu Startups und IT-geprägten Unternehmen gibt es viele Beispiele. Während die Geschichten ihrer Erfolge die frühen Anwender zu eigenen Initiativen motivieren, sind Entscheider der frühen Mehrheit mit den gleichen Instrumenten nicht zu überzeugen. Sie suchen nach mehr Sicherheit, um ihre Ziele und Position nicht zu gefährden.

Laut John P. Kotter erreichen rund 70% der Veränderungsprojekte nicht die gesetzten Erwartungen. Nach Interviews mit 275 Portfolio Managern stellen Kaplan und Norton fest, dass nicht eine schlechte Strategie, sondern die schlechte Umsetzung dafür verantwortlich ist.

Der Haltungswechsel von Kontrolle zu Vertrauen im Umgang löst in den Köpfen der Manager Bilder von Anarchie und Chaos aus. Kommt die Forderung nach „Arbeit auf Augenhöhe“, wirken die Argumente der Idealisten esoterisch und werden von den KPI-getriebenen Entscheidern nicht ernst genommen. Es prallen zwei Welten aufeinander. Die Graswurzelbewegung, sofern es eine gibt, wird gestoppt. Es fehlt an Zahlen, Daten und Fakten für einen überzeugenden „Investment Case“. Viel zu häufig heißt es in der Folge, „New Work“ sei im eigenen Arbeitskontext nicht anwendbar.

Doch in den vielen Geschichten zu Erfolgen verteilter Verantwortung, Kollaboration und Freude bei der Arbeit findet man ebenfalls Pioniere in Bereichen, die als Vorzeigebereiche des Taylorismus gelten. Auch im Militär, in der öffentlichen Verwaltung und im Kontext industrieller Produktion gibt es Beispiele für den leistungssteigernden Einfluss von „Neuer Arbeit“. Neben den Erfolgschancen zeigen sie zudem, wie sich die Rolle von Führung verändert: Weg vom Alles-Entscheider hin zum Coach und Visionär. Führung gibt nicht mehr das „Wie“ vor und kontrolliert dieses, sie liefert ein inspirierendes „Warum“ und definiert die Rahmenbedingungen in denen ein „Was“, also ein Ergebnis gewünscht ist. Geschieht dies in einem partizipativen Prozess, agieren Führung und Team auf Augenhöhe. Aus Micromanagement und Kontrolle wird Vertrauen und Selbstmanagement.

Verteiltes Kommando auf der New Work-Brücke

Die Geschichte von Captain David Marquet ist ein Paradebeispiel für diesen Führungswandel. Nach etwas über einem Jahr auf der USS Olympia, einem U-Boot der US Navy, wird der Schiffsführer unerwartet versetzt. Ihm wird die USS Santa Fee anvertraut, seit Jahren Schlusslicht bei den Inspektionen der Flotte. Einen Monat nach seinem Dienstantritt führt er eine Übung mit der Mannschaft durch. Sie simulieren einen Reaktorausfall und den Wechsel auf elektrischen Antrieb. Als der Captain den Befehl gibt mit 2/3-Kraft voranzufahren geschieht nichts. Erst auf seine Nachfrage berichtet der Steuermann, dass es auf diesem Schiff im elektrischen Antriebsmodus kein 2/3 gibt – im Gegensatz zu allen anderen Booten, auf denen Marquet zuvor gedient hatte. Der Kapitän erkennt das Problem: In einem echten Manöver entscheiden Sekunden über Leben und Tod. Mit einer Mannschaft, die blind gehorcht und nur Befehle ausführt, kann es im Ernstfall sehr riskant werden.

Captain David Marquet
Captain David Marquet (Quelle: Marion Doss)
Captain David Marquet (Quelle: Marion Doss)

Marquet beginnt seine Entscheidungen schrittweise an seine Mannschaft zu übertragen. Er bildet sie zu Anführern aus, gibt die Kontrolle des Schiffs nach und nach in ihre Hände. Nur ein einziges Kommando belässt er in seiner Verantwortung: den Abschuss einer Waffe und die damit verbundenen Konsequenzen. Bereits zwei Jahre später wird die USS Santa Fee bei Inspektionen zum führenden U-Boot der US Navy gekürt. Auch nach Marquets Weggang erhält sie weiter Preise, viele Offiziere und Bootsleute werden in verantwortungsvolle Positionen befördert. Die Geschichten des Kapitäns und der USS Santa Fee werden zum Vorzeigebeispiel für dienende Führung in einer von Kommando und Kontrolle geprägten Welt.

Freiheit im Sozialministerium

Öffentliche Verwaltungen sind in der allgemeinen Wahrnehmung ein Ort von starren Prozessen und starker Kontrolle. Auch der Föderale Öffentliche Dienst Soziale Sicherheit von Belgien ist keine Organisation, bei der Neudenker im Jahr 2002 gerne arbeiten. Von den für öffentliche Verwaltung relevanten Hochschulabsolventen entscheiden sich nur 18% für den Bereich, den Frank van Massenhove kurz nach der Jahrtausendwende als Ministeriumsleiter übernimmt. Das passt nicht zu den Zielen des neuen Vorsitzenden.

Frank van Massenhove (Quelle: FOD Sociale Zekerheid / Belgien)
Frank van Massenhove (Quelle: FOD Sociale Zekerheid / Belgien)

Und so beginnt er das Ministerium von Grund auf neu zu denken. Es erhält eine neue Struktur und Mitarbeiter bekommen die Freiheit zu arbeiten, wann, wo und in welchem Umfang sie es für richtig halten. Die 1.100 Kollegen ziehen in ein neues, viel kleineres Büro, da im Schnitt gerade einmal 150 Personen pro Tag vor Ort sind. Der Rest arbeitet als Remote Team. Meetings werden abgeschafft, 10% der Arbeit werden explizit für Innovationsprojekte reserviert und jeder wird ermutigt den Status quo zu hinterfragen. Über 10 Mio. Euro kostet die Transformation.

In den nachfolgenden drei Jahren steigt die Leistungsfähigkeit der Organisation um über 50%. Das Ministerium spart rund 9 Mio. Euro allein durch die Verkleinerung der Räumlichkeiten. Die Krankenrate sinkt auf den niedrigsten Stand in ganz Belgien. Eine von 30% auf 2% gesunkene Rate geringqualifizierter Mitarbeiter prägt das Bild. Und so die Organisation von Frank van Massenhove heute ein hochbegehrter Arbeitsplatz: 93% der relevanten Hochschulabsolventen möchten heute im Ministerium für Soziale Sicherheit arbeiten. (Quelle: The Guardian)

Selbstgeführt zur neuen Fabrik

In der Berliner Siemensstadt produzieren rund 3.000 Mitarbeiter des Konzerns Gasturbinen. Ein schwieriges Feld, zumal der Markt bedingt durch die Energiewende stark unter Druck steht und die Fertigungskosten in Deutschland hoch sind. Im Jahr 2013 erhalten Ronny Großjohann und Robert Harms den Auftrag zur Flucht nach vorne. Für rund 12 Mio. Euro sollen sie den Umbau des Werks begleiten und mit der Integration eines sonst zugelieferten Bauteils den Standort sichern.

Gasturbinenwerk in Berlin (Quelle: flickr.com/mearbeitgeber)
Gasturbinenwerk in Berlin (Quelle: flickr.com/mearbeitgeber)

Doch sechs Monate nach Start der Umsetzungsphase treten die beiden Projektleiter auf der Stelle. Sie können keine Ergebnisse vorweisen, obwohl sie, so sagen sie selbst, auf dem Papier alles richtig gemacht hatten. Da sich die Begeisterung nicht auf die Belegschaft überträgt, beschließen sie nach Freiwilligen zu suchen und selbstgeführte Teams zu gründen. Über 70 Mitarbeiter des Standorts treffen sich fortan jeden Morgen und treiben den Umbau voran. Sie sorgen dafür, dass Entscheidungen in 2 statt in 10 Wochen getroffen werden können und das Projekt trotz der anfänglichen Herausforderungen in nur 2 ½ Jahren umgesetzt wird. Durch die Beteiligung der Fachexperten aus dem Tagesgeschäft werden zusätzliche Verbesserungen umgesetzt.Die Produktionskosten sinken um 50-60% statt wie geplant um 30%. Die Fertigungszeit des Bauteils sinkt um 80%, die Produktionsvolumen steigen um 400%. (Quelle: Brand Eins / Haufe)

Mit agiler Haltung zu großem Engagement

Die gute Leistungsfähigkeit der New-Work-Pioniere wird erst durch ein überdurchschnittliches Engagement des Teams möglich. Freiheit, Zusammenarbeit auf Augenhöhe und die richtige Form von Führung sind das Fundament für diese und viele andere Erfolgsgeschichten. Im Umkehrschluss zeigen aktuelle Studien deutlich, dass sich die heutigen Formen der Führung nachteilig auf den Unternehmenserfolg auswirken.

Laut einer Gallup Studie aus 2017 arbeiten gerade einmal 10% der Mitarbeiter eines Unternehmens mit vollem Engagement. Die überwiegende Mehrheit (71%) sitzt ihre Zeit ab, empfindet keine Leidenschaft und identifiziert sich nicht mit dem eigenen Unternehmen. Nahezu jeder Fünfte arbeitet sogar aktiv gegen das Unternehmen und untergräbt potenziell, was die Kollegen leisten. Die Folge sind mehr Unfälle (+58%), höhere Mitarbeiterfluktuation (+24%) und im Schnitt 20% weniger Umsatz und Profit.

Zudem haben Unternehmen, die in neue Arbeitsformen investieren, eindeutige Vorteile im Wettbewerb. In einer Analyse des S&P500 haben Unternehmen mit einer Kunden- und Mitarbeiter-zentrierte Kultur über 5 Jahre eine um 72% bessere Aktienperformance. Indem diese Unternehmen den Faktor Mensch ins Zentrum ihrer Entscheidungen stellen, steigen die wirtschaftlichen Erfolge und damit das Interesse der Investoren.

All diese Werte decken sich mit unseren eigenen Erfahrungen. Bei Me & Company experimentieren wir bereits seit Gründung im Jahr 2012 mit neuen Formen der Zusammenarbeit. Mit Scrum, Kanban und Design Thinking arbeiten wir seitdem gegen unsere früheren, von Hierarchie geprägten Erfahrungen. Die Einführung von Holacracy in 2016 war ein großer Sprung, die Einführung von Peer Recruiting und Feedback, eines Gehaltssystems und zuletzt das Sprengen der Organisationsstrukturen im 6-Monatsrhythmus haben uns viele Freiheiten gegeben. Und diese Erfahrungen geben wir in unseren Projekten weiter. Dabei zeichnen sich nach ersten Ergebnissen je nach Kontext zwischen 20-50% höhere Leistungswerte ab.

Die oben genannten Beispiele zeigen, dass die „Neue Arbeit“ zu bemerkenswerten Erfolgen führen kann. Die Zusammenarbeit auf Augenhöhe führt zu schnelleren, besseren und schließlich wirtschaftlich erfolgreichen Entscheidungen. Die Investition lohnt sich, auch wenn die Transformation ihre Zeit braucht. Derzeit braucht es dafür vor allem Akzeptanz bei den Führungskräften und Experten.

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